Stellungnahme zur geplanten Streichung des Lehrstuhls Geschlechtergeschichte

Die folgende Stellungnahme wurde vom Studierendenrat der Friedrich-Schiller-Universität Jena am 27. September 2022 beschlossen:


Geschlecht und Sexualität sind wesentliche Kategorien für ein diverses Verständnis von Gesellschaft. Sie müssen daher in der universitären Lehre und Forschung in Jena präsent sein und weiter vertieft werden.


Der Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte wurde vor zwölf Jahren im Rahmen der Exzellenzinitiative eingerichtet. Mithilfe der Geschlechtergeschichte können aktuelle gesellschaftliche Debatten historisch eingeordnet und auf das Geworden-Sein von Strukturen wie die des Begehrens hingewiesen werden. Das Fach ist stark international ausgerichtet und interdisziplinär sehr anschlussfähig. Es erachtet Interdisziplinarität als besonders wichtig. Diese ist dem Fach auch eingeschrieben. Die Inhaberin Prof. Dr. Gisela Mettele erstbetreute bereits 78 arbeiten und gibt an, dass das Fach bei Studierenden sehr nachgefragt ist.


Am 12. Juli 2022 beschloss der Rat der philosophischen Fakultät, dass der Lehrstuhl Geschlechtergeschichte im Jahr 2025 aufgelöst werden soll. Die Professur „Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit“ soll somit erhalten bleiben. Der Lehrstuhl stand beim Beschluss neben der Geschlechtergeschichte zur Wahl. Dass eine Streichung von einem der beiden Lehrstühle stattfinden soll, wurde weder den Studierenden, Fachschaftsräten, noch dem Studierendenrat kommuniziert. Die Debatte fand somit unter dem öffentlichen Radar statt. Dass in diesem Prozess die Studierenden nicht einbezogen wurden und die Streichung so kurzfristig und intransparent von statten gegangen ist, obwohl es an der Philosophischen Fakultät schon lange bekannt war, das es Kürzungen geben muss, verurteilen wir entschieden. Uni-Politik muss transparent und vielstimmig sein.


Die Streichung kommt den Forderungen von Rechtspopulist*innen und der Thüringer AfD nach, die ebenfalls eine Streichung der öffentlichen Gelder der Geschlechterforschung erreichen wollen.


Dass ausgerechnet dieser Lehrstuhl gestrichen werden soll, zeigt, wie wenig Bedeutung der Rat der philosophischen Fakultät Forschung zu Geschlecht, Queerness und Vielfalt beimisst. An vielen Universitäten im deutschen, europäischen und anglo-amerikanischen Raum ist dagegen die Geschlechtergeschichte als eigenständige Disziplin fest verankert. Die Kategorie Gender wird derzeit in allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen stärker als je zuvor verhandelt. Diesen Lehrstuhl an der Universität zu haben, bedeutet, Expert*innen speziell für Themen rund um Geschlecht und Queerness vor Ort zu haben. Eine moderne Geschichtswissenschaft ohne Geschlechtergeschichte ist nicht vorstellbar.


Wir geben uns mit dieser Entwicklung nicht zufrieden. Denn die Geschlechtergeschichte abzuschaffen, heißt Vielfalt abzuschaffen.

Stellungnahme des StuRa zur Besetzung von Hörsaal 1 im November/Dezember 2022

Die folgende Stellungnahme wurde vom Studierendenrat der Friedrich-Schiller-Universität Jena am 13. Dezember 2022 beschlossen:

Seit Mittwoch, dem 30. November 2022, ist der größte Hörsaal der Friedrich-Schiller-Universität besetzt. Die Ziele der
Demonstrant:innen sind klar: Das wichtigste Ziel ist, dass der Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte erhalten werden soll. Ebenfalls
verfolgen sie allgemeinere Ziele wie die Begrenzung des Rechtsrucks und die Stärkung studentischer Gehälter und Rechte. Nachdem
die Besetzung ein inzwischen weitläufiges Medienecho erhalten hat, fordert nun das Präsidium der Friedrich-Schiller-Universität, zuletzt
über Instagram, öffentlich die Räumung des Hörsaal 1.

Uns als Studierendenrat der Friedrich-Schiller-Universität ist es von höchstem Maße wichtig, hierzu Stellung zu beziehen. Wir sagen
deutlich: Der Studierendenrat solidarisiert sich mit dem Protest der Student:innen sowie der Professor:innen und Dozent:innen. Wir
begrüßen die friedlichen Aktionen, die den Protest innerhalb der Studierendenschaft widerspiegeln. Wir möchten mit aller Klarheit
festhalten, dass wir die Entscheidung, den Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte zu streichen, aus Gründen des vorhandenen
Personals, des Bildungsauftrags der Universität, des Interesses der Student:innen sowie der überaus aktuellen Thematik für fragwürdig
halten. Dass im Jahr 2016 die Einführung des neuen Lehrstuhls Digital Humanities beschlossen worden ist, ohne dass eine langfristige
Finanzierung feststand, sodass ein anderer Lehrstuhl zwangsläufig geschlossen werden muss, ist kritisch zu hinterfragen. Dass zwei
Lehrstühle der Geisteswissenschaften sich im Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät zudem gegenseitig ausspielen mussten, um für
ihr eigenes Überleben zu kämpfen, offenbart das überholte und wenig überdachte Vorgehen der entscheidenden
Handlungsträger:innen. Dass der Protest, von dem inzwischen deutschlandweit berichtet wird und auch die in Teilen rechtsextreme AfD
zur Demonstration bewogen hat, nun eingestellt werden soll, ist hinsichtlich demokratischer Grundprinzipien nicht zu unterstützen.

Der Studierendenrat fordert eine stärkere Beteiligung studentischer Stimmen, insbesondere bei Entscheidungen zu Forschung und
Lehre. Wir solidarisieren uns mit der Forderung nach einem TVStud, nach guten Arbeitsbedingungen und fairer Bezahlung für
studentische Assitent:innen.

Der Studierendenrat solidarisiert sich mit den Demonstrant:innen, die für den Erhalt des Lehrstuhls kämpfen, mit den Student:innen,
Professor:innen und Dozent:innen, die diesen Kampf unterstützen, mit dem Lehrstuhl Geschlechtergeschichte, dem Lehrstuhl für
Mittel-/Neulatein sowie allen anderen Lehrstühlen, die gekürzt werden sollen und zur Debatte stehen, weil das Bildungsland
Deutschland durch Einsparungen im Bildungssektor immer weiter zurückfällt.